Oktober 18, 2015

Radeln in der Kibiji Ebene

Vergangenes Wochenende war hier in Japan wieder ein verlängertes mit einem Feiertag am Montag. Tag des Sports, an dem der Olypmischen Sommerspiele von 1964 gedacht wird. Schon komisch irgendwie, wenn man aus einem christlich geprägten Land kommt, in dem die meisten Feiertage ihren Ursprung in eben jenem Glauben haben, dann arbeitsfrei zu haben, weil vor 50 Jahren mal ein Sportereignis stattgefunden hat. Aber sei es drum. Ich hatte ja bereits davon berichtet, dass es mir nicht gelungen war, frühzeitig ein Zimmer in Osaka zu buchen und ich wollte dann auch nicht mehr kurzfristig den Plan ändern, hätte ich noch eine Alternative finden können und so fuhr ich vergangene Woche nach Okayama. Von dort wollte ich anderntags einen Ausflug nach Kurashiki unternehmen und auf dem Rückweg nach Tokyo am Montag in Himeji aussteigen. Im Prinzip hätten alle diese Orte ja bereits auf der Strecke Tokyo - Hiroshima - Yamaguchi gelegen, aber man kann ja nicht alles auf einmal machen bzw möchte ich nicht von Ort zu Ort hetzen. Lieber etwas weniger sehen, aber das, was ich sehe, dafür mit Weile. So stieg ich also wieder in den schon bekannten Nozomi, diesmal entspannter auch ohne Sitzplatzreservierung, denn nun wußte ich ja, wie es funktioniert. In Okayama angekommen, lieferte ich meine Habseligkeiten im Hotel ab, das auch wieder praktischerweise nah am Bahnhof lag, und ging sofort zurück, um mit einem Nahverkehrszug ein paar Haltestellen nach Westen zu fahren, bis Bisen-Ichinomiya. 


Dort könne man laut Führer gleich am Bahnhof ein Fahrrad leihen und durch die Kibiji-Ebene nach Soja radeln. So war es dann auch. Eine ältere Dame, die gleich messerscharf gefolgert hatte, ich als offensichtliche Touristin wolle sicherlich "rentobiko?" sprach mich sofort an, als ich erst einmal vor der Karte am stehenblieb, um mich zu orientieren. Der Dialog, der sich entspann, war dann auch wieder recht lustig, denn wie bereits mehrmals geschrieben, hält auch der Satz "Nihon go ga wakarimasen" niemanden davon ab, trotzdem auf japanisch weiter zu sprechen. Sie gab mir eine Karte, zeigte mir den darauf markierten Weg, dass ich gleich zweimal nach rechts fahren solle und markierte ein paar Punkte auf der Karte Nahe dem Bahnhof in Soja.



Was es damit vermutlich auf sich hatte, habe ich auch erst später geglaubt zu verstehen... Und ich solle das Fahrrad bis 18 Uhr abgeben, mitsamt einem Zettel, den ich unterschreiben mußte. Der Sattel mußte höher gestellt werden und den Äußerungen, die sie einer anderen Frau und den Blicken die sie mir zuwarf, habe ich mal gefolgert, dass sie von meiner Körperlänge sprach. Naja, wen wundert das auch. Sie ging mir gerade bis unter die Brust. Und los ging es, da war es etwa 14 Uhr. Der Fahrradweg war glücklicherweise gut lesbar ausgeschildert, wobei es an ein paar Stellen kleinere Unsicherheiten gab, aber letztendlich habe ich den Weg gefunden, wenn auch zuviel Zeit verbraucht mit stehenblieben, gucken, absteigen, Fotos machen, gucken. Ein paar andere Leute waren ebenfalls so wie ich unterwegs, aber auch viele radelbegeisterte Japaner in voller Ausstattung, die durch die Landschaft sausten, ohne nach links und recht zu blicken. Die Gegend ist wirklich schön flach, man fährt durch Reisfelder, die in unterschiedlichen Grüntönen und Reifegeraden da standen, teilweise bereits abgeerntet, teilweise wurde gerade geerntet und der Ertrag hing an Gestellen, die aussehen, wie die Heinzen bei uns. 











Man kommt an diversen Tempel vorbei, die ich aber größtenteils liegen ließ, ebenso wie den großen Grabhügel, der aus der Luft betrachtet wie ein Schlüsselloch aussieht, immer ein besonderes Ziel und die Zeit vor Augen, denn es wird ja schon früh dunkel. 



Überall bereits zwischendurch in Gärten, an Wegrändern und Feldern Cosmosblumen. So schön, diese Cosmea, die habe ich schon immer gemocht, aber von meinen Balkon-im Topf-wachs-Versuchen nicht gewußt, wie hoch sie tatsächlich werden können. Ich mag ihre Zartheit, das durchsichtige Grün, das ein wenig wie Karotten oder Fenchel aussieht, den tollen Rosa- und Pinkton, weiß dazwischen und hin und wieder auch gelb und orange. So schön. Einen anderen Radler traf ich öfters einmal wieder bzw überholten wir uns ständig gegenseitig, weil mal er und mal ich stehenblieb, um die Blütenpracht aufs Bild zu bannen. Interessanterweise habe ich ihn dann aber nicht mehr an dem Ort gesehen, der mich überhaupt auf die Idee dieser Radtour gebracht hatte. 






Irgendwo in den Weiten des www hatte ich nämlich gelesen, es gäbe in der Gegend ein ganzen Feld, das angelegt wird, um den Blick auf die dort stehende mehrstöckige Pagode von Kokobun-ji noch schöner zu machen, hier im Titelbild des Beitrags. War ich froh, als ich noch rechtzeitig bei einigermaßen Tageslicht dort ankam. Hach, Schwelgen, auch wenn der Himmel den ganzen Tag ziemlich grau war, Hauptsache, kein Regen... 





Und dann war es plötzlich ganz schön schnell dunkel und ich bekam etwas Muffensausen, den noch etwa 5 km weiten Weg nach Soja mit meiner mickrigen Funzel am Rad überhaupt noch zu finden. Am Rand der Reisfelder blinkten aber auch immer ein paar in den Boden eingelassene Lichter, dass die Autofahrer nicht versehentlich zu nah an den Straßenrand gelangen und im Graben landen, so dass man den Radwegverlauf auch noch gut erkennen konnte. In Soja fand ich dann aber zunächst den Bahnhof nicht. Ich war irgendwann rechts abgebogen, einem Hinweisschild folgend auf dem stand, Bahnhof 1.6 km. Nur kam der Bahnhof leider nicht und irgendwann war ich auf der anderen Seite raus aus dem Ort. Ich mußte also irgendwo ein weiteres Schild übersehen haben. Nun denn, wieder retour, aber ich fand kein weiteres Schild. Ich fragte an einer Tankstelle, nur dort sprach niemand englisch und auch mein Versuch, mir auf der Karte zeigen zu lassen, wo wir gerade waren, war nicht von Erfolg gekrönt. Aber mit Händen und Füßen gelang auch eine Wegbeschreibung und so war ich um 18.45 Uhr in Sichtweite vom Bahnhof. Dort kam mir an einer Ampel eine weitere alte Dame an einem Gehwägelchen entgegen, die mir winkte und bedeutete, wo die Rückgabe sei und sie machte sich dann mit mir noch auf den Rückweg und klingelte an einem Haus, das jemand heraus kam, der das Fahrrad einsammelte. War mir etwas unangenehm, aber sie schienen mir eher besorgt zu sein, wo ich denn so lange geblieben und ob alles in Ordnung sei. Na, prima. Alles geschafft. Da ja noch länger Züge fuhren, war ich eh recht entspannt, in dem Wissen, noch zurück nach Okayama zu kommen. Im Nachhinein denke ich, die ominösen Kringel, die die Dame beim Verleih gemacht hatte, von denen ich nicht verstanden hatte, was sie bedeuten sollten, waren vermutlich Hinweise, wo ich hätte jeweils Richtung Bahnhof abbiegen sollen. Aber nichts desto trotz, geschafft. Ein schöner Nachmittag und Abend im pinkrosa Schirmchenhimmel. In Okayama kaufte ich mir am Bahnhof noch zum schnellen Essen im Hotel eine Bentobox. Die erste richtige, kaum zu glauben, aber bisher hatte ich noch nie eine "komplette" gekauft. Da musste ich erst einmal drei Monate in Japan sein. Es sollte an dem Wochenende nicht die einzige bleiben.

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